Saisonausklang am Mittelmeer
14. bis 21. Oktober 2018
Danke für den folgenden Reisebericht an Marion Böttcher!
Biken auf Sizilien
Türkisblaues Meer. Felsen, die ins Meer hineinragen und an denen die Wellen zerbersten und weiße Schaumspritzer in den blauen Himmel entlassen. Eine Stadt, deren ocker- und cremefarbene Häuser – aufgereiht wie auf- und hintereinander gestapelte Schuhkartons – sich zwischen Meer und Felsen den schmalen Küstenstreifen entlang schmiegen, so empfängt uns Cefalù am 14. Oktober 2018. Bei angenehmen 22°C machen wird uns am Sonntagnachmittag auf den Weg durch den Ort, um die für uns bereitgestellten Mountainbikes in der Bikestation am anderen Ende der Stadt in Empfang zu nehmen. Die Nordküste Siziliens zieht uns in ihren Bann. Wir durchqueren den Ort und können den Blick nicht abwenden von den malerischen Gassen, den Balkonen mit ihren schmiedeeisernen Geländern, den aneinandergereihten, drei- und vierstöckigen Wohnhäusern mit ihren großen Holzfenstern, den Fensterläden, dem bröckelnden Putz. Wir spitzen durch die Restaurants, deren Türen zur Gasse hin weit geöffnet sind und damit den Blick freigeben auf das dahinter liegende blaue Meer. Die bunte Keramik, die herrlichen Eisdielen, Trödel und Souvenirs sorgen dafür, dass wir viel zu spät bei unserem Radverleiher ankommen.
Eine Woche lang ...
werden wir das sizilianische Hinterland mit geliehenen Mountainbikes erkunden, dabei immer wieder von den Farben des Meeres und den Küstenformationen überrascht sein. Als ich den mir zugedachten zweirädrigen Reisebegleiter am Sonntagabend in Empfang nehme, bin ich überrascht: ich bekomme ein Radon Skeen 120 mit 27,5 Zoll Rädern, 120 mm Federweg. Schnell freunde ich mich mit diesem Alubike an. Vergesse den Vorsatz, mich vorsorglich nach einem E-Bike zu erkundigen…
Gerhard Ried hat bereits vor Reisebeginn 8 Touren im Park Modonie ausgearbeitet. Es stellt leichte (bis 40 km/1000 hm) bis mittelschwere Strecken (60 km/2000 hm) vor. Wir sind zwanzig Reiseteilnehmer und können uns zwei Gruppen aufteilen. Tourguide Kurt Heppenheimer übernimmt dabei die erfahrene „Expertengruppe“, Gerhard Ried führt die gemäßigtere „Spezialistengruppe“ an. Für den ersten Tag wird eine Einsteigertour von Cefalú nach Gratteri ausgewählt. 33 km hören sich für mich machbar an, was sich hinter „900 hm“ verbirgt, davon habe ich noch keine Vorstellung. Heimlich schiele ich zu der teilweise sehr durchtrainierten Wadenmuskulatur meiner Reisebegleiter und hoffe, bei den Spezialisten gut aufgehoben zu sein. Es wird meine erste Mountainbiketour sein.
Wir starten am nächsten Morgen ...
nach einer kurzen Einweisung in zwei Gruppen. Das Rad läuft fast von allein. Locker fahren wir ein kurzes Stück an der Küste entlang um sogleich den Aufstieg ins bergige Hinterland zu beginnen. Schon verschwindet das Meer, vor uns erscheint die Hügelkette. Ich hatte mir Sizilien nicht so grün vorgestellt, wundere mich darüber, dass im Gegensatz zu den heimischen, verbrannten ehemaligen Grünflächen der trockene Sommer hier nicht sichtbar ist. Zwar ist der Oleander fast verblüht, doch zwischen den Wildkräutern, Olivenbäumen, Büschen und Gräsern erobern immer wieder die blauen Blüten der Clematis das Bild. Es durftet nach Oregano. Gruppen von Kakteen oder Agaven durchbrechen die Buschlandschaft. Es geht locker bergauf. Zunächst. Dann windet sich die Straße immer weiter ins Hinterland. Nach einer gefühlten halben Ewigkeit machen wir eine erste Pause. Wir haben noch keine 400 Höhenmeter geschafft. Ich beschließe, mich an das Hinterrad eines Mitfahrers zu konzentrieren und den Blick nicht mehr auf die nicht enden wollende Hügelkette vor mir zu richten. Das Meer blinkt hinter uns am Horizont immer wieder auf. Einzelne, mal verfallene, mal provozierend protzige Anwesen tauchen wie aus dem Nichts abseits jeder Ortschaft am Straßenrand auf. Große Hunde verbellen uns aus diesen Grundstücken. Wir werden wohl die einzige Abwechslung dieser einsamen Bewacher an diesem Tag sein. Irgendwann ist Gratteri erreicht.
Das Bergdorf zieht uns mit seinen steinernen Gebäuden, Mauern und engen Gassen in seinen Bann. Plötzlich öffnet sich der Blick wieder zum Meer. Die Anstrengung ist vergessen. Hier treffen wir auf unsere Expertengruppe und beschließen, die Abfahrt gemeinsam zu nehmen. Experte Thomas entdeckt dabei einen Wander(?)weg, der sich die Hügel entlang schlängelt in Richtung Meer und ebenso erfreut wie naiv schließen wir uns seinem Vorschlag an! Wir folgen einem staubigen ausgetretenen und zunächst breitem Pfad durch die wunderschöne Landschaft. Immer schneller führt mich mein Rad den Experten hinterher durch Büsche und Gräser. Für den Blick nach rechts und links dann aber bleibt keine Zeit mehr. Der Weg (?) entpuppt sich als ausgewaschenes Bachbett mit immer größer werdenden und vermehr auftretenden Steinen, kleinen Felsen. Büsche ragen in den „Weg“ hinein und begrüßen die nach mir Kommenden mit einem vernehmbaren Klatschen. Ich wundere mich, wie dank einer gewissen Mindestgeschwindigkeit mein Vorderrad den Weg durch dieses Gewirr findet und überlasse dem Rad die Führung. Doch dann stehen wir irgendwo im nirgendwo, nach 20 Minuten Abfahrt, der weitere Pfad (?) ist zugewachsen. Ratlos schwärmen wir aus auf der Suche nach einem Weg ins nächste Tal. Als wir schließlich in Cefalú ankommen haben wir 44 km und 1550 hm hinter uns. Jetzt hat es mich gepackt, ich habe das erhebende Gefühl nach einem anstrengenden Anstieg und das Adrenalin der Abfahrt miterlebt. Das war bestimmt nicht meine letzte Tour!
Es folgen in den nächsten Tagen ...
weitere abwechslungsreiche und herausfordernde Touren durch die sizilianische Hügellandschaft. Eine leichte Tour nach Gibilmanna mit einer herrlichen langen Abfahrt abseits der Asphaltstraßen. Eine etwas anspruchsvollere Tour mit 40 km und 1100 hm zum Weingut Abbazia Santa Anastasia. In traumhafter Lage lassen wir uns hier Büffelmozzarella, luftgetrocknete Salami und Prosciutto schmecken. Dazu gibt es einen herrlichen frischen Weißwein. Am Freitag geht es nach Castelbuono, der größten Ortschaft mit 9.000 Einwohnern der Gegend. Am letzten Tag aber entschließe ich mich, eine entspannte Tour entlang der Küste zu fahren und genieße dafür den Nachmittag und Abend am Strand. Noch einmal Sonne tanken!
Von Cefalú aus erreicht man mit dem Schnellzug in weniger als einer Stunde die Hauptstadt Siziliens. So lösen wir uns einen Tag von der Gruppe, um Palermo mit seinen Palazzi, den belebten Straßen, den unzähligen Geschäften und seinem geschäftigen Treiben auf den Märkten zu erkunden. Hier zieht uns die europäische Kunstbienale „Manifesta 12“ in ihren Bann. Wir besuchen diese Ausstellung für Gegenwartskunst, die uns in den einzigartigen botanischen Garten von Palermo und in die Bauruinen verschiedener Palazzi führt. Einwanderung und Flucht sind hier die beherrschenden Themen der Künstler und werden in Installationen, Gemälden und Videos vielseitig umgesetzt. Es bleibt kaum Zeit für den Besuch der vielen Sehenswürdigkeiten der Stadt aus der Zeit Araber, Normannen und Staufer.
Abends bleibt stets Zeit für den Austausch in der Gruppe über das Erlebte. Bei Eiscreme oder Wein gehen die Gesprächsthemen nicht aus, wir werden von der italienischen Ausgelassenheit angesteckt, es wird viel gelacht. Schnell sind am Abend die Anstrengungen des Tages oder die – dank des dornigen Untergrundes so zahlreichen – Reifenpannen vergessen. Zu unserer Überraschung hatte die italienische Fahrradschlauchindustrie neue Schläuche zu Übungszwecken bereits mit vorgefertigten Dichtungslöchern ausgestattet. So habe ich meine Packliste nach dieser Woche um folgende Dinge erweitert: Fahrradschlauch, Fahrradsattel (!!!!), Bierfilz und Würfelbecher. Und schon sitzen wir im Flieger und sehen wehmütig zu, wie das türkisblaue Meer unter uns verschwindet.